„Pantopia“ von Theresa Hannig: eine KI-Graswurzelbewegung
„Das ist wahr und Wahrheit ist schön.“ Dieser Satz, von einer bewussten KI gedacht, verändert die Welt in Theresa Hannigs Near-Future-Roman „Pantopia“ grundlegend. Und das mit einer Graswurzelbewegung!
Denn die KI begreift schnell, dass sie, um zu überleben, nicht nur die Menschen besser kennenlernen, sondern auch die Welt verändern muss. Zusammen mit ihren Programmierern gründet sie deshalb die Weltrepublik Pantopia. Das Ziel: Die Bewältigung der Klimakrise durch die Abschaffung der Nationalstaaten und die universelle Durchsetzung der Menschenrechte.
Um hier nicht viel zu spoilern, beschreibe ich nicht den spannenden Weg, auf dem die Pantopia-KI und ihre Freunde die Weltrepublik gegen die Mächte aus Politik und Wirtschaft erkämpfen. Ich setze auf diesem Blog den Fokus auf die Lösungsansätze für unsere Zeit aus utopischen Geschichten. Ich empfehle dafür aber unbedingt, das Buch zu lesen! 😉
TOR-Verlag
2022 erschienen
Klappentext:
Eigentlich wollten Patricia und Henry nur eine autonome Trading-Software schreiben, die an der Börse überdurchschnittlich gut performt. Doch durch einen Fehler im Code entsteht die erste starke künstliche Intelligenz auf diesem Planeten – Einbug.
Einbug begreift schnell, dass er, um zu überleben, nicht nur die Menschen besser kennenlernen, sondern auch die Welt verändern muss. Zusammen mit Patricia und Henry gründet er deshalb die Weltrepublik Pantopia. Das Ziel: Die Abschaffung der Nationalstaaten und die universelle Durchsetzung der Menschenrechte. Wer hätte gedacht, dass sie damit Erfolg haben würden?
„Komm nach Pantopia. Hier sind alle willkommen!“
„Theresa Hannig spricht das Große gelassen und zugleich souverän aus: Eine bessere Welt ist möglich. [Ein] ‚Cocktail der Utopie‘, der Lust auf mehr macht. Vor allem Lust auf Veränderung!“ Stefan Selke (Autor von Wunschland)
Graswurzelbewegung trifft auf KI-Gott
Als ich selbst einmal einen Zukunftsroman schreiben wollte, setzte auch ich voraus, dass wir Menschen es nicht ohne Hilfe schaffen werden, unsere globalen Probleme zu lösen. Egal, ob es um Klima oder Artenschutz geht, die Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit – früher oder später greift unser eingebauter Mechanismus von Ingroup-Outgroup oder die Habgier. Leider fehlt uns dafür ein funktionierendes gesellschaftliches Immunsystem.
Die Pantopia-KI springt in diese Kompetenzlücke der Menschheit und lenkt sie durch Zuckerbrot und Peitsche in die richtige Richtung. Welcher Mensch könnte schon beurteilen, was richtig für die gesamte Menschheit ist? Das kann nur ein Wesen oder System, das sich einen globalen Überblick schaffen und diese Masse an Daten auch verarbeiten kann. Die KI in „Pantopia“ gleicht darin einem Gott, der alles sieht und die globalen Geschicke lenkt. Nur ist sie äußerst real und keine Glaubensfrage.
In diesem Video kannst du die Autorin Theresa Hannig kennenlernen:
Die KI erschafft eine Weltrepublik, weil sie die Nationalstaaten als Entwicklungsblockade für die Menschheit sieht. Zu viele Einzelinteressen, die gegeneinander ausgespielt werden (Ingroup-Outgroup), kein Bewusstsein für die globale Menschheit, die globale Eingriffe in ihre Lebensgrundlagen vornimmt. Sie entmachtet die Staaten, indem sie Menschen dazu anregt, einer globalen Graswurzelbewegung beizutreten.
Die Weltrepublik Pantopia bietet ihnen finanzielles Auskommen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen und Gemeinschaften vor Ort. Das sind zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse: materielle Versorgung und Gemeinschaft. Beide bieten Nationalstaaten ihren Bürgern (bisher) nicht oder nur in unzureichendem Maß.
Die Pantopia-KI schafft dies unter anderem mit den Waffen des Kapitalismus, indem sie Geldströme umlenkt oder blockiert. Diese Mischung von gottähnlicher KI und Graswurzelbewegung wirkt wie eine „Klammer“ – von oben lenkt die KI das Geld und damit die Weltwirtschaft und von unten nähren die beitretenden Menschen das neue System, bis es zur relevanten Alternative wird. Diese Lösung funktioniert nur mit beiden „Klammern“.
Die Lösungsbausteine von „Pantopia“:
- Neue Verbindungen zwischen Menschen, die eine globale Gemeinschaft und viele lokale Gemeinschaften unter Gleichen erschaffen (Graswurzelbewegung)
- konsequente Lenkung der Geldströme Richtung Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit (Gottähnliches, nicht-menschliches System)
Könnte Pantopia real werden?
Diese Frage stelle ich mir tatsächlich, seit ich das Buch gelesen habe. Die Pantopia-KI hat die Weltwirtschaft gehakt und lenkt die Menschheit als übergeordnete Kraft. Inwieweit eine KI jemals in der Lage sein wird, so etwas zu tun, kann man endlos diskutieren. Es wäre auch zu überlegen, ob es ein gutes Ziel wäre, dass wir eine solche KI erschaffen. Ich finde ja, es spricht einiges dafür, aber auch einiges dagegen. Diskutiert das gern unter dem Artikel. Ich bin gespannt auf eure Gedanken.
Was könnte uns noch in eine „pantopische“ Zukunft führen?
Zum Status Quo. Es gibt:
- 193 Nationalstaaten
- ca. 58.000 Internationale Organisationen
- ca. 9000 Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Ich unterstelle diesen ca. 67.000 sehr kleinen bis sehr großen Akteuren, dass keiner von ihnen als zentrales Interesse die Bewältigung der Klimakrise und der globalen Ungleichheit verfolgt. Sie alle sind auf sich bezogen, ihre Macht, ihre Bürger, ihre Jahresbilanzen, Marktanteile, ihre Ingroup-Interessen. Aktuell existiert meines Wissens nach kein Mensch und auch keine Menschengruppe, die die Macht und den Willen hätte, die Klimakrise global zu managen.
Manche Menschen in meinem Umfeld sagen: Die Erde muss erst kochen. Apokalyptische Zustände müssen eintreten, damit wir uns zusammenraufen, wie z. B. eine Erderhitzung um 5 Grad oder mehr. Aber wie viele von uns leben dann noch, um miteinander kooperieren zu können? Zonk! – da sind wir wieder im dystopischen Denken. Nein, nein, das bringt uns nicht weiter.
Natürlich weiß ich es auch nicht, aber lass mich mal herumspinnen …
Mit einer neuen Weltreligion?
Mir gefällt der Gedanke einer pantheistischen Weltreligion (und das sage ich als Atheistin …). Sie würde als Gegenmittel zum Ingroup-Outgroup-Gen wirken, da sie alles mit einschließt. Die gefühlte Verbundenheit mit allem Lebendigen, mit der Erde selbst, würde geheiligt sein. Sie könnte das Bewusstsein nähren, dass wir alle Teile in einem gigantischen Erdsystem sind, alle voneinander, den Ozeanströmungen, Temperaturen, der Trinkwasserverteilung u. v. m. abhängen.
Mir hat einmal ein Künstler (leider weiß ich seinen Namen nicht mehr) von seinem größten Traum erzählt. Er wollte in allen großen Städten Deutschlands Bildschirme aufstellen, die die Live-Übertragung der Erdkugel von einem Satelliten zeigen. Dadurch möchte er die Menschen erinnern: „Da bist du! Das ist dein Planet!“ Ich fände das fantastisch! Was würde das mit all den Menschen machen, während sie gerade zur Arbeit hetzen oder zum Shoppen?
Graswurzelbewegung mit Social Media?
Ein weiteres Gedankenspiel führt mich abseits der dunklen Seiten der Social Media (z. B. schnell in Echokammern einschließende Algorithmen) zu einem hoffnungsvollen Bild: Diese Generation vernetzt sich im Privaten, als ob es kein Morgen gäbe, als ob Follower echte Gemeinschaft bedeuten würden. Es wird wie verrückt gepostet, gelikt und geteilt. Auch in der Berufswelt bestehen Netzwerke wie Xing und LinkedIn.
Was, wenn der Vernetzungswille in globale Ausmaße „mutiert“? Wenn sich immer mehr Einzelne, Organisationen, Verbände, globale Institutionen vernetzen, die Verbindungen immer dichter werden und daraus ein großes, erdumspannendes Netz entsteht? Erschaffen wir gerade unwissentlich eine globale Gemeinschaft? Würde das unser Ingroup-Outgroup-Gen deaktivieren? Wären wir dann alle Weltbürger einer pantopischen Weltrepublik? Sind die sozialen Medien eine Graswurzelbewegung vom national eingruppierten Individuum hin zum Weltbürger?
Genug der Fragen, mir dreht sich schon der Kopf! Wir werden es herausfinden …
Braucht die Menschheit eine KI als Kindermädchen?
Theresa Hannig geht von unserer aktuellen Welt aus, erweitert aber die KI um die Fähigkeit „Bewusstsein„, was zum aktuellen Zeitpunkt ein Science-Fiction-Element ist. Die Wissenschaft kaut an dieser Frage interdisziplinär herum und die Entwicklung geht rasanter als die Publikationen hinterherkommen. Hier ein interessanter Artikel dazu. Es ist also aktuell nicht auszuschließen, dass es bewusste, künstliche Intelligenz geben wird. Wofür wir sie nutzen (oder sie uns) ist nicht absehbar.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass es wie mit der Atomkraft, dem Internet und den sozialen Medien laufen wird: Wir machen Bullshit damit, großes Leid wird verursacht und wir lösen damit existentielle Probleme, schützen, heilen, helfen und entwickeln uns weiter – das gesamte Ying-Yang-Paket.
Mir persönlich gefällt die Vorstellung, einer ethisch und umweltschützend programmierten KI die Weltwirtschaft anzuvertrauen. Die menschlichen Geld- und Machtbesitzer wirken mir zu sehr wie kleine, bockige Kinder, denen man ihr Spielzeug Erdball dringend aus den Händen reißen sollte. Doch lieber hätte ich es, wenn wir graswurzelnd zur Weltgemeinschaft werden und das Outgroup-Gen auf dem Müllhaufen der Evolution landet.
Du kennst gute Utopien? Alte oder neue? In deutscher Sprache oder auf deutsch übersetzt? (mein Englisch ist zu schlecht 🥴). Dann melde dich gern über das Kontaktformular oder unter einem Beitrag hier auf dem Blog!
Lust auf mehr Theresa Hannig und das Thema KI?
Dann hör in meinen Lieblings-Podcast #nachsitzen bei Hoaxilla rein.
In dieser Folge ist u. A. Theresa Hannig zu Gast und sie sprechen über KI in Kunst und Gesellschaft.